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Stadtkrank

Aktualisiert: vor 3 Tagen

Hofbräuhaus in München
Hofbräuhaus in München

Dass lebensfeindliche Räume nicht nur in der Wüste oder der Arktis existieren, wurde mir spätestens bei unserem Weiterbildungswochenende in München klar.

Über dreißig Grad im Schatten und die Straßen glichen einem aufgeheizten Backofen. Der Asphalt flimmerte, die Fassaden strahlten Hitze ab, im Hotelzimmer war es so stickig, dass man kaum noch atmen konnte. Keine Klimaanlage, kein Luftzug, kein Entkommen.

Der Beton der Strassen hatte die Wärme gespeichert wie ein Hochofen, und während draußen die Straßenbahn quietschte und hupende Autos durch die Enge drängten, dröhnte mein Kopf. Es gab keine Ruhe, keine Regeneration. Nur Reiz auf Reiz. Und unsere Körper? Im Ausnahmezustand.

Als ich am Hotelfenster stand und auf das gegenüberliegende Dach blickte, fielen mir zwei große Antennen ins Auge. Unübersehbar. 5G. Mein ganzes System war elektrisiert, als wäre mein Organismus in einen unsichtbaren Stromkreis eingebunden.

Die Nacht war unerträglich. Das Fenster mussten wir schließen, draußen war der Lärm ohrenbetäubend. Drinnen fühlten wir uns wie im Brutkasten, durchdrungen von einer Anspannung, die sich nicht greifen ließ, aber deutlich spürbar war. Am Morgen waren wir erschöpfter als am Abend zuvor.

Münchener Innenstadt am 28.6.25
Münchener Innenstadt am 28.6.25

Nach dieser Nacht waren die Nerven ohnehin schon blank.Und dann gingen wir über den Marienplatz. Pride-Wochenende.

Alles vibrierte. Die LGBTQ-Community feierte laut und sichtbar, Bässe hämmerten durch die Innenstadt, Menschen schrien, tanzten, performten sich durch ein flirrendes Spektakel. Alles war zu laut, zu eng, zu viel. Das ist Reizüberflutung. Und sie ist kein Lifestyle-Problem, sondern ein biologisches.


Wenn zu viele Reize gleichzeitig auf ein ohnehin überlastetes Nervensystem einwirken: Geräusche, Hitze, Menschen, Bewegung, Druck, dann geht der Körper in einen Ausnahmezustand. Nicht bewusst, nicht steuerbar. Die Stressachse feuert. Der Parasympathikus zieht sich zurück. Regeneration wird unmöglich.


Und genau das ist es, was Erschöpfung triggert.

Nicht Schwäche. Sondern ein permanentes Zuviel, dem nichts gegenübersteht, das entlastet. Und ich fragte mich: Warum tun wir uns das freiwillig an? Warum bewegen wir uns Tag für Tag durch Räume, die keinen Rückzug mehr zulassen?Warum wohnen wir in Betonlandschaften, in denen nichts wächst außer Lärm, Tempo und Erwartung? Warum feiern wir in Systemen, die uns innerlich aushöhlen, während wir uns äußerlich inszenieren?

Weil wir es gelernt haben. Weil wir glauben, dass ständige Präsenz mit Lebendigkeit gleichzusetzen ist. Weil Rückzug verdächtig geworden ist. Weil niemand mehr sagt: „Ich halte das nicht aus.“ Und weil viele Angst haben, was passiert, wenn es still wird.

Aber das ist die bittere Wahrheit, wer nie rausgeht aus diesem Dauerrauschen, der wird krank. Nicht vielleicht. Nicht irgendwann. Sondern zwangsläufig.

Menschenmassen
Menschenmassen

Der Körper kann nicht dauerhaft senden, empfangen, filtern, kompensieren, ohne einen Preis zu zahlen. Und der Preis ist hoch. Viele zahlen ihn inzwischen mit Erschöpfung, Schlafstörungen, hormoneller Dysregulation, Ängsten, Hautproblemen, Verdauungsstörungen, Entfremdung vom eigenen Körper.

Das sind keine individuellen Schwächen. Das sind systemische Reaktionen auf ein unnatürliches Umfeld.

Viele unserer Patienten denken, mit ihnen stimmt etwas nicht. Sie fühlen sich überfordert, müde, gereizt, überempfindlich – und glauben, das Problem liegt in ihnen. Aber oft ist es der Raum. Die Stadt. Das Umfeld, das sie durchdringt, stresst, formt, bis kaum noch etwas Eigenes übrig bleibt.

Und dann stellt sich die Frage: Wie willst du gesunden, wenn du nie runterfährst? Wie willst du dich regulieren, wenn dein Nervensystem nie in Sicherheit kommt? Wie willst du bei dir ankommen, wenn du ständig im Außen funktionierst?

Die Antwort ist unbequem, aber eindeutig. Du wirst es nicht. Du wirst überleben, vielleicht auch funktionieren – aber nicht heilen.

Heilung beginnt nicht mit dem nächsten coolen Nahrungsergänzungsmittel. Nicht mit Biohacking oder der neuesten krassen Atemtechnik. Heilung beginnt mit Raum. Mit echter Stille. Mit der Entscheidung, dich dem zu entziehen, was dich systematisch krank macht, auch wenn es „normal“ erscheint.

Wer sich nicht regelmäßig rausnimmt, wird ausgezehrt. Wer sich keinen echten Rückzug erlaubt, wird nicht regenerieren. Und ohne Regeneration gibt es keine Gesundheit. Punkt.

Ich bin froh, wieder in mein verträumtes Kaff zurückfahren zu können. Dorthin, wo die Havel und die Elbe fließen, wo die Auen dem Auge Raum geben und unsere Wälder nicht performen, sondern einfach nur da sind. Da, wo ich nichts darstellen muss. Wo ich meinen eigenen Rhythmus lebe. Wo ich laut oder still sein darf, ohne mich erklären zu müssen.

Dort wartet keine Bühne. Kein Dauerlärm. Kein Filter. Nur Natur. Ruhe. Und der einfache, echte Rhythmus des Lebens. Genau das, was es heute braucht, um wieder aufzutanken. Um wieder Mensch zu sein.

 
 
 

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